•   Wild & Natur

Von den Highlands ins Gasteiner Tal


Text und Fotos: Gunther Stoschek
Diskussion auf Augenhöhe: Niall Rowantree (links) und Thomas Tscherne (rechts) verbindet die Sorge um die Zukunft des Rotwildes. Denn egal ob in Schottland, Deutschland oder Österreich, Politik und Behörden scheinen nur noch den Weg starker Reduktion unseres letzten, einheimischen „Großwildes“ zu kennen.
Diskussion auf Augenhöhe: Niall Rowantree (links) und Thomas Tscherne (rechts) verbindet die Sorge um die Zukunft des Rotwildes. Denn egal ob in Schottland, Deutschland oder Österreich, Politik und Behörden scheinen nur noch den Weg starker Reduktion unseres letzten, einheimischen „Großwildes“ zu kennen.

In Niall Rowantrees beruflicher Laufbahn spielte das Rotwild immer schon eine wesentliche Rolle. Umso mehr, seit die beeindruckenden Bilder und spannenden Berichte aus den Highlands immer mehr Jäger aus aller Welt zur Jagd in dieser rauen, wilden Landschaft inspirieren.

Das Ketten-Quad verkürzt die Gehzeit zur Fütterung um mindestens eine Stunde. Da das dicht bewaldete Gelände weiter oben zu steil wird, muss der Rest des Weges täglich zu Fuß zurück gelegt werden.
Das Ketten-Quad verkürzt die Gehzeit zur Fütterung um mindestens eine Stunde. Da das dicht bewaldete Gelände weiter oben zu steil wird, muss der Rest des Weges täglich zu Fuß zurück gelegt werden.

Heute geschieht die Bejagung des Rotwildes allerdings längst nicht mehr aus reinem Vergnügen. Fast überall sollen die Bestände deutlich reduziert werden. Die Befürworter dieser Maß­nahme sehen in dieser Wildart eine Gefahr für den Wald, die Landwirtschaft oder die Biodiversität an sich, je nach politischer Couleur. Niall Rowantree sieht das anders. Auf den Ländereien, die er betreut, kombiniert er neben einem sehr professionellen Rotwildmanagement die verschiedensten Nutzungsmöglichkeiten. Anstatt das Land sich völlig selbst zu überlassen, werden die Wälder, die der Industrialisierung Schottlands zum Opfer fielen, intelligent aufgeforstet. Der Baumbestand kann sich somit auf Dauer eigenständig re­generieren. Sozioökonomische Maßnahmen wie die Schafhaltung werden in abgezäunten Ge­bieten ermöglicht. Gemeinsam mit einem attraktiven, touristischen Angebot wird sowohl eine wirtschaftliche Grundlage für länd­liche Gemeinden als auch eine größere Natur­vielfalt geschaffen. Und so helfen auch Jäger aus dem Ausland mit, Lebensräume für Mensch und Tier langfristig zu sichern.

Fichten-Monokulturen, riesige Kahl­schläge und mittendrin Skipisten und Liftanlagen. Für das Rotwild ist die auf einem kleinen, sonnigen Plateau liegende Fütterung eine der letzten Oasen der Ruhe.
Fichten-Monokulturen, riesige Kahl­schläge und mittendrin Skipisten und Liftanlagen. Für das Rotwild ist die auf einem kleinen, sonnigen Plateau liegende Fütterung eine der letzten Oasen der Ruhe.

„Noch nie habe ich diese scheue Wildart in freier Wildbahn so einzigartig vertraut erlebt.“

Die Messe „Hohe Jagd Fischerei“ in Salzburg, auf der Niall Rowantree für das Unternehmen „West Highland Hunting“ als Aussteller fungierte, war für ihn der ideale Anlass, um Thomas Tscherne im nahen Bad Gastein zu besuchen. Dort angekommen, konnte Niall über den gewaltigen Skizirkus nur staunen. Fast hatten wir den Eindruck, als könne er gar nicht glauben, dass es hier überhaupt noch Rotwild gibt.

Bei der gut vierzigminütigen Fahrt mit dem kettenbewehrten Quad hinauf auf etwa 1700 Meter Höhe verstärkte sich dieser Eindruck. Nirgendwo war auch nur eine einzige Fährte zu sehen. Erst auf den letzten zwei Kilometern, die wir steil bergauf im hohen Schnee zurücklegen mussten, stießen wir auf die Trittsiegel eines einzeln ziehenden Hirsches. Umso größer war Nialls Erstaunen, als wir schließlich den Stadel der Fütterung erreichten. Etwa einhundertzwanzig Stück Rotwild lagen nicht weit davon im schneebedeckten Hang und sicherten sichtlich nervös zu uns herunter. Vermutlich hatten sie noch nie zuvor einen Schotten in seinem typischen Outfit gesehen. Auf Thomas’ Rufe hin beruhigten sich aber alle Stücke sehr schnell wieder. Sie erhoben sich schließlich aus ihren Lagern und zogen eines nach dem anderen hinunter zu den noch leeren Futtertrögen. Man spürte sofort, wie sehr sie ihrem Gönner vertrauten. Nur Niall behielten sie noch einige Zeit lang skeptisch im Auge. Nach wie vor schien ihnen dieser Schotte nicht ganz geheuer.Nach einer halben Stunde jedoch, die Tröge waren da bereits fast alle gefüllt, schenkte das Rotwild dem fremden Besucher keine besondere Beachtung mehr. Niall aber, der sein ganzes Leben mit dieser Wildart verbracht hatte, fehlten jetzt die Worte. Er war einfach nur überwältigt. Nie zuvor hatte er in freier Wildbahn diese scheuen Tiere so einzigartig vertraut erlebt. Kein Wunder also, dass sich zwischen Niall und Thomas bald schon ein sehr angeregter Erfahrungsaustausch ent­wickelte.

Es war aber nicht nur das Rotwild selbst, das für reichlich Diskussionsstoff sorgte. Der weite Blick ins Tal und auf die gegenüberliegenden Berghänge offenbarte nämlich das ganze Dilemma: Überall waren riesige Kahlschläge zu sehen, aufgeforstet mit Tausenden von Fichten und umrahmt von Ski­pisten und Liftanlagen. Unterhalb steiler Felsabhänge führten sogar Spuren mutiger Tiefschneefahrer bis hinein in abgelegene Wald­bereiche.

Niall, der immer wieder mit dem Fernglas die Auf­forstungsflächen unterhalb der Fütterung nach Fährten absuchte, konnte kaum glauben, dass er gerade dort keine einzige Rotwildfährte entdecken konnte. Erst da begann er zu verstehen, dass sich der Bewegungsradius des Rotwildes im Winter tatsächlich fast nur auf das kleine, windgeschützte Plateau erstreckt, auf dem sich auch Thomas’ Futterstelle befindet.

Der Futterstadel ist Mitte Februar noch gut zur Hälfte gefüllt. Thomas erklärt Niall, wie wichtig es ist, dass die Futterstellen konsequent vom ersten Schneefall bis hin zum Frühjahr beschickt werden.
Der Futterstadel ist Mitte Februar noch gut zur Hälfte gefüllt. Thomas erklärt Niall, wie wichtig es ist, dass die Futterstellen konsequent vom ersten Schneefall bis hin zum Frühjahr beschickt werden.
Eine fallende Futterschaufel sorgt bei diesem Kalb für einen kurzen Moment des Erschreckens. Wenige Sekunden nach dem überraschenden Salto gibt es sich aber schon wieder völlig vertraut.
Eine fallende Futterschaufel sorgt bei diesem Kalb für einen kurzen Moment des Erschreckens. Wenige Sekunden nach dem überraschenden Salto gibt es sich aber schon wieder völlig vertraut.

Als die Sonne gegen Mittag trotz des eiskalten Februar­tages eine erstaunlich wärmende Kraft entwickelte, meinte Niall augenzwinkernd: „Now I understand the deer. I wouldn‘t want to move from here either.“