In Niall Rowantrees beruflicher Laufbahn spielte das Rotwild immer schon eine wesentliche Rolle. Umso mehr, seit die beeindruckenden Bilder und spannenden Berichte aus den Highlands immer mehr Jäger aus aller Welt zur Jagd in dieser rauen, wilden Landschaft inspirieren.

Von den Highlands ins Gasteiner Tal
Heute geschieht die Bejagung des Rotwildes allerdings längst nicht mehr aus reinem Vergnügen. Fast überall sollen die Bestände deutlich reduziert werden. Die Befürworter dieser Maßnahme sehen in dieser Wildart eine Gefahr für den Wald, die Landwirtschaft oder die Biodiversität an sich, je nach politischer Couleur. Niall Rowantree sieht das anders. Auf den Ländereien, die er betreut, kombiniert er neben einem sehr professionellen Rotwildmanagement die verschiedensten Nutzungsmöglichkeiten. Anstatt das Land sich völlig selbst zu überlassen, werden die Wälder, die der Industrialisierung Schottlands zum Opfer fielen, intelligent aufgeforstet. Der Baumbestand kann sich somit auf Dauer eigenständig regenerieren. Sozioökonomische Maßnahmen wie die Schafhaltung werden in abgezäunten Gebieten ermöglicht. Gemeinsam mit einem attraktiven, touristischen Angebot wird sowohl eine wirtschaftliche Grundlage für ländliche Gemeinden als auch eine größere Naturvielfalt geschaffen. Und so helfen auch Jäger aus dem Ausland mit, Lebensräume für Mensch und Tier langfristig zu sichern.
„Noch nie habe ich diese scheue Wildart in freier Wildbahn so einzigartig vertraut erlebt.“
Die Messe „Hohe Jagd Fischerei“ in Salzburg, auf der Niall Rowantree für das Unternehmen „West Highland Hunting“ als Aussteller fungierte, war für ihn der ideale Anlass, um Thomas Tscherne im nahen Bad Gastein zu besuchen. Dort angekommen, konnte Niall über den gewaltigen Skizirkus nur staunen. Fast hatten wir den Eindruck, als könne er gar nicht glauben, dass es hier überhaupt noch Rotwild gibt.
Bei der gut vierzigminütigen Fahrt mit dem kettenbewehrten Quad hinauf auf etwa 1700 Meter Höhe verstärkte sich dieser Eindruck. Nirgendwo war auch nur eine einzige Fährte zu sehen. Erst auf den letzten zwei Kilometern, die wir steil bergauf im hohen Schnee zurücklegen mussten, stießen wir auf die Trittsiegel eines einzeln ziehenden Hirsches. Umso größer war Nialls Erstaunen, als wir schließlich den Stadel der Fütterung erreichten. Etwa einhundertzwanzig Stück Rotwild lagen nicht weit davon im schneebedeckten Hang und sicherten sichtlich nervös zu uns herunter. Vermutlich hatten sie noch nie zuvor einen Schotten in seinem typischen Outfit gesehen. Auf Thomas’ Rufe hin beruhigten sich aber alle Stücke sehr schnell wieder. Sie erhoben sich schließlich aus ihren Lagern und zogen eines nach dem anderen hinunter zu den noch leeren Futtertrögen. Man spürte sofort, wie sehr sie ihrem Gönner vertrauten. Nur Niall behielten sie noch einige Zeit lang skeptisch im Auge. Nach wie vor schien ihnen dieser Schotte nicht ganz geheuer.Nach einer halben Stunde jedoch, die Tröge waren da bereits fast alle gefüllt, schenkte das Rotwild dem fremden Besucher keine besondere Beachtung mehr. Niall aber, der sein ganzes Leben mit dieser Wildart verbracht hatte, fehlten jetzt die Worte. Er war einfach nur überwältigt. Nie zuvor hatte er in freier Wildbahn diese scheuen Tiere so einzigartig vertraut erlebt. Kein Wunder also, dass sich zwischen Niall und Thomas bald schon ein sehr angeregter Erfahrungsaustausch entwickelte.
Es war aber nicht nur das Rotwild selbst, das für reichlich Diskussionsstoff sorgte. Der weite Blick ins Tal und auf die gegenüberliegenden Berghänge offenbarte nämlich das ganze Dilemma: Überall waren riesige Kahlschläge zu sehen, aufgeforstet mit Tausenden von Fichten und umrahmt von Skipisten und Liftanlagen. Unterhalb steiler Felsabhänge führten sogar Spuren mutiger Tiefschneefahrer bis hinein in abgelegene Waldbereiche.
Niall, der immer wieder mit dem Fernglas die Aufforstungsflächen unterhalb der Fütterung nach Fährten absuchte, konnte kaum glauben, dass er gerade dort keine einzige Rotwildfährte entdecken konnte. Erst da begann er zu verstehen, dass sich der Bewegungsradius des Rotwildes im Winter tatsächlich fast nur auf das kleine, windgeschützte Plateau erstreckt, auf dem sich auch Thomas’ Futterstelle befindet.
Als die Sonne gegen Mittag trotz des eiskalten Februartages eine erstaunlich wärmende Kraft entwickelte, meinte Niall augenzwinkernd: „Now I understand the deer. I wouldn‘t want to move from here either.“