Damwild
  •   Jagd & Jäger

Mauser 98 – Mysterium Schaufler


Text und Fotos: Thore Wolf, Erich Marek

Reger Betrieb auf dem Brunftplatz. Vier halbstarke angehende Schaufler schlagen ihre Vorderläufe in den Boden, behaupten ihre Brunftkuhlen. Hin und wieder fordert ein Knieper einen von ihnen zum Duell heraus. Geweihstangen krachen, Damhirsche schieben sich gegenseitig durch den Eichenniederwald. Es knört und rülpst aus allen Ecken.

Ein interessanter Abschussknieper
Ein interessanter Abschussknieper. Aber die Jagd gilt einem reifen Schaufler

Der Alte lässt sich heute lange bitten. Ihn bringt das ganze Treiben nicht aus der Ruhe. Zu abgeklärt ist er, um sich in den Streit um die Brunftkuhlen einzumischen, um an den Machtspielchen der Halbstarken und Mittelalten teilzuhaben. Er hat es einfach nicht mehr nötig. Zu Anfang dieser Brunft stehen erst wenige Alttiere bei ihm. Die anderen Stücke seines Harems werden in den nächsten Tagen noch folgen. Und er weiß, dass er seinen Einstand nicht verlassen darf. Nicht umsonst hat er schon zehn Brunften miterlebt. Viele seines Jahrgangs haben das geschäftige Treiben mit ihrem Leben bezahlt. Er wartet die Dunkelheit ab. Erst dann wird er auf dem Brunftplatz nach dem Rechten sehen. Erst dann, wenn die beiden Zweibeiner, die vor wenigen Stunden seinen Wechsel kreuzten, ihn nicht mehr erblicken können. Bis dahin verbleibt er in seinem Einstand. Hin und wieder versucht ein Halbschaufler, auch ihn herauszufordern. Ein kurzes, leises Knören reicht, um den Herausforderer in die Flucht zu schlagen.

Kräftemessen am Brunftplatz
Kräftemessen am Brunftplatz, doch der Gesuchte lässt sich nicht blicken

Die beiden Jäger haben nach längerer Nachmittagspirsch den Brunftplatz bezogen. Dort muss er auftauchen, so der Plan. Doch es wird ein Geduldsspiel. Der Alte hat die Menschen schon längst gewittert. Der Wind ist an diesem Abend sein heimlicher Helfer. Ein weiterer Grund für ihn, den Brunftplatz noch nicht zu betreten und sich so ruhig wie möglich zu verhalten. Die Grünröcke müssen eine Entscheidung treffen: Abbaumen oder weiter auf einen neuen Wechsel der Windrichtung hoffen ? Zumindest die jungen Schaufler lassen sich durch die Witterung der Jäger nicht aus dem Brunftgeschäft bringen. Somit könnte ein interessanter Abschusshirsch erscheinen. Aber es soll ein reifer Recke sein. Deshalb verlässt die 7×57 an diesem Abend die Kammer des MAUSER 98 im Rückwärtsgang. Der Lauf bleibt kalt.

Am Rand eines Wechsels, der zum Brunftplatz führt
Am Rand eines Wechsels, der zum Brunftplatz führt, haben sich die Jäger postiert, um einen besseren Überblick über das Brunftgeschehen zu erhalten

Das Spiel zieht sich zwei weitere Abende. So lange küselt der Wind und in der Zwischenzeit versuchen die Jäger ihr Glück an anderer Stelle. Vergeblich. Die stabile und milde Ostwindlage ruft den Brunftplatz zurück ins Gedächtnis der Waidmänner. Doch da, wo noch vor zwei Tagen reger Brunftbetrieb bei bestem Licht herrschte, ist Totenstille. Hier und da jagt ein Eichhörnchen einer vom Baum gefallenen Buchecker hinterher. Statt des Brunftgeschreis der Damhirsche beschallen die in wärmere Gefilde ziehenden Kraniche den Abendhimmel.

Ein mittelalter Hirsch
Ein mittelalter Hirsch versucht, seinem Gegenüber mit Drohgesten zu imponieren

Plötzlich ein Krachen aufeinanderschlagender Geweihe, ein Hirsch ruft. Ein zweiter stimmt ein und im Nu melden vier verschiedene Hirsche aus vier Richtungen. „Nur junges Gemüse“, so der knappe Kommentar des Pirschführers. Doch noch lassen sich die Streithähne nicht blicken. Erst mit beginnender Dunkelheit treten sie auf den Brunftplatz aus und in wenigen Minuten ist der dichtbewachsene Eichenniederwald wieder mit regem Leben erfüllt. Doch tatsächlich: nur junges Gemüse. Hier zwei Halbschaufler, die ihre Kräfte messen, ein Schmal­- spießer, der immer wieder beim Spiel der älteren Artgenossen mitmischen will, aber entweder nicht ernstgenommen oder von einem mittelalten starken Hirsch in die Flucht geschlagen wird. In wenigen Minuten ist es dunkel. Den Alten scheint die Neugier zu treiben. Langsam erhebt er sich aus seiner Brunftkuhle, sichert nach allen Seiten. Bedächtig nähert er sich dem Geschehen in der Kampfarena der jungen Wilden. Jede Deckung souverän ausnutzend, bewegt er sich langsam den kleinen Hang hinauf, bis er das Treiben im Blick hat.

Das Licht ist nahezu weg, daher beschließen die Jäger den Rückzug. Noch einmal schweift der Blick durchs Fernglas – und tatsächlich! Gerade als die Jäger auf­geben wollen, entdecken sie am hintersten Rand des Brunftplatzes einen starken Hirsch. Hohe, wuchtige Stangen und starker Wildkörper sind die einzigen Merkmale, die sie jetzt noch bestätigen können. Wie eine Statue steht er da. Ab und an vertreibt er mit einem leisen Brummen einen der jungen Störenfriede, die ihm gefährlich nahekommen. Als Herr im Ring hat er es nicht nötig, mit den anderen Geweihten um die Wette zu rufen. Obgleich ihn dies passive Verhalten als begehrte Beute markiert. Jetzt bleibt nur noch die Hoffnung, dass der Alte am frühen Morgen noch immer am Rande des Brunftplatzes steht.

„Ob es der Alte ist, der da halb verdeckt hinter einer Eiche steht?“

dichter Niederwald
Reif oder nicht? Das Ansprechen gestaltet sich im dichten Niederwald äußerst schwierig

Noch in tiefschwarzer Nacht setzen die Jäger vorsichtig einen Fuß vor den anderen als sie die Kanzel beziehen. Zwei Schritt nach vorne. Stehenbleiben. Horchen. Wieder zwei Schritt nach vorne. Das ist der Marschtakt. In Zeitlupe wird die Kanzel bezogen, leise gleitet eine Patrone ins Patronenlager des 98ers, beim Schließen der Kammer drückt die linke Hand des Schützens leicht auf den Auszieher, während die rechte die Pa­tronen im Magazin nach unten drückt. Leise geladen, sichern, fertig.

Es ist verdächtig ruhig. Kein Hirsch meldet, keine Kampfgeräusche. Als der Schleier der Nacht langsam schwindet, werden die Konturen eines starken Hirsches erkennbar. Ob es tatsächlich ein alter ist? Ob es „der“ Alte ist? Bisher sind nur das Hinterteil und eine Stange erkennbar, der Rest ist durch eine Eiche verdeckt. Allerdings sieht das schon sehr vielversprechend aus. Hoffentlich hält er noch eine Weile aus. Mit einem Mal kommt Bewegung auf den Platz. Linkerhand erscheinen zwei mittelalte Schaufler, die permanent damit beschäftigt sind, sich gegenseitig ihre Macht zu demonstrieren. Minuten vergehen. Dem vermeintlich alten Schaufler scheint es jetzt zu ungemütlich hell zu werden. Er dreht sich im Schutz der Eiche und zieht nach rechts. Der Blick durchs Zielfernrohr bestätigt einen kurzen, gewaltig starken Träger, einen tiefsitzenden Drosselkopf und einen kurzen Schädel sowie hohen Widerrist. Das Puzzle aus Verhaltensmuster und körperlichen Merkmalen fügt sich in Windeseile zu einem Bild zusammen: Der passt. Allerdings geben die engstehenden Eichen- und Hainbuchenstämme das Blatt noch nicht frei. Nur eine einzige Lücke bietet Gelegenheit zum Schuss – sofern der Schaufler die Richtung hält. Er hält sie. Der Daumen des Schützen legt den Sicherungsflügel nach vorne, ein Ruf lässt den Schaufler abrupt stoppen und neugierig das Haupt heben. Das Projektil der 7×57 findet sein Ziel auf der Blattschaufel des Damhirschs und lässt ihn nach wenigen Metern verenden.

verendendeter Schaufler
Nach kurzer Todesflucht hat die 7x57 den Schaufler verenden lassen

Weit und lang hallt der Schussknall durch die Nordpfälzer Berglandschaft. Dann Totenstille. Kein Rufen, keine krachenden Schaufeln. Einzig ein Schmalspießer taucht in der „leergefegten“ Arena auf und kontrolliert ängstlich, aber uner­fahren und unvorsichtig die Brunftkuhlen der Großen. Heute wird ihm diese mangelnde Vorsicht jedenfalls nicht zum Verhängnis werden.

Damhirsch