•   Jagd & Jäger

EIN EINFACHER Plan


Text: Thore Wolf; Fotos: SAUER

Der Wind dreht ständig, auch am dritten Blattstand ist noch kein Bock gesprungen. Jagdgast Eric Poole steht gespannt hinter dem Tarnschirm, die S 100 Pantera fest in der Hand. „Noch eine Lockrufserie, dann wechseln wir den Standort, gehen zum Tobel“, gebe ich dem Amerikaner zu verstehen. Wir haben nur zwei gemeinsame Jagdtage und Eric soll nicht als Schneider seine Rückreise antreten. Die Lockrufe zeigen keine Wirkung, also Blattjagdstand abbauen und Standort wechseln.

»Ich schicke zwei zaghafte Fieplaute auf die Reise. Jetzt kommt Bewegung in den Tobel und ein Stück Rehwild hält mit großen Sprüngen auf uns zu.«

Blattjagdstand abgebaut und ab Richtung Tobel. Thore hofft, dass dort der Wind nicht küselt und der Amerikaner Eric endlich zu Schuss kommt.

Tatsächlich, im Tobel ist es windstill. Hier kenne ich zwei Böcke, einen Jährling mit Lauscher hohen Spießen und einen gut fünfjährigen Bock mit enggestelltem, doppelt über Lauscher hohem Sechsergehörn. Bereits nach zwei bis drei Fiepserien hören wir es im Unterholz knacken. Erkennen können wir allerdings nichts. Um Klarheit zu bekommen, schicke ich zwei zaghafte Fieplaute auf die Reise. Jetzt kommt Bewegung ins Spiel und ein Stück Rehwild hält mit großen Sprüngen auf uns zu. Der Blick durchs Glas bestätigt: Eine Geiß! Skeptisch äugt sie zu unserem Blattstand nimmt uns aber aufgrund unserer Tarnung nicht wahr. Jetzt nur keine falsche Bewegung machen. Doch die Geiß zieht wieder von dannen. Leider ist kein Bock dabei. Eric setzt die Waffe ab, ich zische ihm zu, dass er sich weiter bereit halten soll. Mein Plan: Wir nutzen die Geiß als „lebendes Lockbild“.

Immer wieder ärgere ich das arme Stück in der kommenden Stunde, indem ich es zum Zustehen bringe, stets in der Hoffnung, dass es ein Bock wahrnimmt und der Geiß vor den Blattstand folgt. Als die Geiß jedoch erneut nur etwa 25 Meter vom Schirm entfernt ist, springt sie augenblicklich unter lautem Schrecken ab. Mein Blick geht zu Eric. Hat der Journalist eine hastige Bewegung gemacht? Hat uns das Reh mitbekommen? Weder noch! Hinter uns auf dem Weg taucht eine Gruppe Wanderer auf. Das war es dann wohl an diesem Platz!

„Auf zur Streuobstwiese!“, sage ich zu Eric, das ist mein letztes Ass im Ärmel. Dort zieht ebenfalls ein Abschussbock seine Fährte, aber allabendlich frequentieren auch Dachse die Stelle, um sich an dem reichhaltigen Fallobst satt zu fressen. Eric hatte mir bereits auf der Fahrt ins Revier erzählt, dass er fasziniert von dem Großmarder sei und er sehr gerne darauf jagen würde, falls es mit dem Bock nicht klappen sollte. Und da es bald Abend wird, müsste es zeitlich ganz gut passen.

Ende der Blattzeit? Immer wieder springen Geißen.
Endlich ein Bock! Doch es ist wie verhext, kaum Zeit ihn anzusprechen – weg ist er!
Lungenschweiß am Anschuss, ein gutes Zeichen, das die Jäger aufatmen lässt.

Zwanzig Minuten später richten wir uns auf der offenen Leiter ein, von der wir die gesamte Wiese überschauen können. Eine halbe Stunde lang tut sich nichts. Das Licht schwindet und mit ihm die Hoffnung, den bestätigten Bock strecken zu können. Plötzlich eine Bewegung am Waldrand! Eine Geiß und ihre beiden Kitze ziehen auf die Freifläche hinaus. Ohne Begleitung. Plötzlich entdecke ich auf 150 Meter Entfernung am anderen Ende der Wiese einen Dachs. Etwas weit für einen sicheren Schuss. Zu viele Äste von Obstbäumen kreuzen eine mögliche Geschossflugbahn, zudem schwindet das Licht immer mehr. Also nichts wie runter vom Sitz. „Wir pirschen um das Gras herum bis wir nah genug am Dachs sind“, sage ich zu Eric. Wir umschlagen die Wiese im weiten Bogen über einen Feldweg, nutzen die Deckung einer Holzhütte aus und tasten uns die letzten Meter Schritt für Schritt in Zeitlupe heran. Der Wind passt. Das muss doch klappen! Schmalzmann verlustiert sich rund 50 Meter von uns entfernt genüsslich an den auf dem Boden liegenden Äpfeln. Rasch ist der Zielstock aufgestellt, Eric legt die S 100 Pantera hinein, entsichert die Büchse und der Knall aus der .308 Win. hallt durch die Allgäuer Abendlandschaft. „I got him, right?“, fragt er. Natürlich hat er!

Gespannt verfolgen die Jäger das Geschehen am gegenüberliegenden Waldrand.

Eric freut sich wie ein kleines Kind über seinen Dachs. Der erste Bann ist gebrochen. Doch die Aussichten, noch einen Bock heran zu blatten werden am nächsten Morgen durch Starkregen erschwert. Den gesamten Vormittag dauert die Dusche an. Petrus hat jedoch ein Einsehen und verjagt zum Nachmittag hin die dunklen Wolken. Voller Erwartung ziehen wir erneut los. Doch schon am ersten Blattstand tut sich – nichts, an den weiteren Hotspots im Revier springen nur Geißen auf den Sprengfiep, da sie eine Konkurrentin in ihrem Einstand vermuten. Nach insgesamt sechs unterschiedlichen Blattständen ohne Erfolg schwindet unsere Energie und die Hoffnung auf einen Bock.

Eric fragt: „What about Dachs, Thore?“ „Ja, warum nicht? Heute abend können wir ja noch einmal zur Streuobstwiese …“ Wir wollen gerade unsere Siebensachen zusammenpacken, da erscheint am Waldrand ein Bock. Der passt doch! Auch Eric hat ihn bereits gesehen und die Waffe im Anschlag. Doch genauso schnell wie der Bock auftaucht, ist er wieder im Unterholz verschwunden. Wieder eine Bewegung an der nächsten Waldkante – ist er das? Fehlanzeige! Jetzt springt in großen Sätzen eine Geiß auf die Wiese, sichert in den Wald hinein. Doch ebenso schnell wie die Geiß erschienen ist, flüchtet sie wieder. Die Bühne ist leer. Eric und ich schauen uns verdutzt an. Was war das? Unterdessen schreckt es aus dem Wald. Ich kann es nicht lassen, greife zum Blatter und schicke ein paar Sprengfiep-Rufe in die Landschaft. Plötzlich passiert das, womit wir nicht mehr gerechnet hatten: An einer ganz anderen Stelle erscheint erneut der Bock. Oder? Der Blick durchs Glas sagt etwas Anderes. Es ist ein mir unbekannter Bock und der hält geradewegs auf unseren Ansitz zu. Eric macht sich fertig, ich nicke ihm kurz zu. Noch ein Sprengfiep – der lässt den mittelalten Abschussbock auf 60 Meter breit verhoffen. Schon schickt Eric die .308 aus der Pantera auf die Reise. Sie fasst den Bock hinter dem Blatt, Ästeknacken im Unterholz verkünden das Ende der kurzen Todesflucht. Ich klopfe Eric auf die Schulter. Zwei Tage lang sprachen alle Anzeichen dafür, dass die Brunft vorbei und die Blattjagd vergebens schien und dann auf den letzten Drücker diese einzige Chance. Aus dem einfachen Plan wurde ein schwieriger – aber wenn es einfach wäre, wäre es ja nur halb so schön.

Allzeit bereit: Im Blattstand ruht die S 100 Pantera schussbereit auf dem Dreibein.
Gleich zwei Blatter kommen je nach Standort aufgrund ihrer unterschiedlichen Lautstärke zum Einsatz.
Auf den letzten Drücker: Am Ende einer nervenaufreibenden Jagd kommen ein Dachs sowie ein Abschussbock zur Strecke.