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6,5 Creedmoor –
Shooting Star aus den USA


Text und Fotos: Nils Waltring

Die 6,5 Creedmoor wurde 2007 von den Hornady Ballis­tikern Dave Emary und Dennis DeMille entwickelt. Schnell wurde das angenehm zu schießende Kaliber beliebt. Schon die zusätzliche Kaliberbezeichnung verrät, für welchen Zweck die Konstrukteure die 6,5 Creedmoor entwickelt haben. Die Namensgeber dachten dabei weniger an das Shooting-Center der NRA (National Rifle Association, USA) nahe Creedmoor in North Carolina. Vielmehr inspirierte sie die ehemalige Creedmoor Rifle Range auf Long Island im US-Bundesstaat New York. Das sumpfige Moorland für den Long Range Schießstand kaufte die NRA 1872 von einem Mr. Creed. Aus dem Namen des ehemaligen Grundeigners und der Moorlandschaft entstand schließlich der Name Creedmoor für die Shooting Range. Heute ein allgemeiner Begriff für Long Range Schießen. Die Shooting Range wurde offiziell am 21. Januar 1873 eröffnet. Es handelte sich um eine Long Range Schieß­anlage, auf der schon 1874 unter inter­­nationaler Beteiligung ein Match auf 800, 900 und 1000 Yards stattfand.

Long Range Spezialisten im Überblick
Long Range Spezialisten im Überblick

Die 6,5 Creedmoor (CM) wurde speziell als gut zu schießende Weit­schuss­patrone entwickelt. Eben nicht als Kaliber mit höchster Präzision auf 100 oder 200 m. Diesen Titel lässt sich die 6 mm PPC nicht „abspenstig“ machen. Erst gut über 200 m spielt die 6,5 Creed­moor ihre Stärken aus.

Die Idee zur 6,5 CM wurde im August 2005 in Camp Perry in Ohio (USA) bei den NRA High Power National Cham­pionships geboren. Viele Long Range Schützen waren von den Kalibern 6XC und 6,5-284 Norma frustriert. Die er­forderlichen Geschossgeschwindig­keiten erreichten sie nicht und Patronen sowie Hülsen waren nicht ausreichend auf dem Markt verfügbar. Mit heißen Handladungen gab es Zündhütchendurchbläser sowie „festgefressene“ Verschlüsse. DeMille war Generalmanager für Creedmoor Sports. Im Gespräch mit Topschützen stellte er für Dave Emary Anforderungskriterien für eine neue Long Range Patrone zusammen.

Die Liste beinhaltete unter anderem folgende Punkte:

  • Geeignet für kurze Magazine für schnelle Schussfolgen bei den „rapid-fire Matches“
  • Geringer Rückstoß, deutlich weniger wie der der .308 Win. für schnelles Schießen und geringe Schützen­belastung
  • Gestreckte Flugbahn, hohe Schuss­präzision, Geschosse mit hohem ballistischem Koeffizienten (BC)
  • Lange Lauflebensdauer
  • Ausreichend verfügbare Patronen und Wiederladekomponenten
  • Ladedaten

Emary sagte zu, eine Patrone mit diesen Anforderungen zu entwickeln. Schnell legten sich er und DeMille auf das Kaliber 6,5 mm fest. Die langen, schweren Geschosse haben Long Range-Eignung und meistern den Wind gut. Geringer Rückstoß ist mit .30er oder 7 mm Kalibern nicht zu erreichen. Für weite Distanzen benötigen sie viel Pulver, um die Geschosse ausreichend schnell zu beschleunigen. Die Ballistik sollte hinsichtlich einer langen Flugbahn die .308 Win. übertreffen.

Kaliber
Geschoss
Gewicht
in g / gr
V0
in m/s
V300
in m/s
V500
in m/s
V800
in m/s
V1000
in m/s
6,5 CM
RWS Target Elite Plus
8,4 / 130
869
708
607
477
405
.308 Win.
RWS Target Elite Plus
10,9 / 168
810
617
506
374
321
.300 Win. Mag.
RWS Target Elite Plus
12,3 / 190
875
707
604
471
398
Ausreichende Geschwindigkeit bei deutlich angenehmerem Schießverhalten. Eine der Stärken der 6,5 Creedmoor im direkten Vergleich zu den gängigen sportlichen Kalibern.

Die 6,5 CM hat in etwa eine Flugbahn wie die .338 Lapua Mag. mit 250 grain-Geschossen, aber 60% geringeren Rückstoß. Leichte Magnum-Pulver der 4350-Klasse oder das neue Super­formance Pulver hielt Emary für ideal. Auf geringe Ladung kommt es an. Schließlich wird bei Berechnung der kine­tischen Rückstoßenergie die halbe Pulvermasse mitberücksichtigt. Auf so genannte VLD-Geschosse (very low drag) mit langer Ogive setzten die Ballistiker. Ebenso auf minimale Hülsen­verjüngung. Die Hülse der 6,5 CM ist mit 48,77 mm etwas kürzer als die der .308 Win. Die moderate 6,5 Creedmoor ist keine Patrone der Superlative und auch keine Supermagnum. Sie verbrennt nicht die Pulvermengen einer .26 Nosler, .264 WM, 6,5×68, 6,5×65 RWS oder 6,5-284 Norma. Selbst die beliebte .260 Rem. verbrennt mehr Pulver als die 6,5 CM. Das am ehesten zu vergleichende europäische Kaliber, die 6,5×55, erfordert ein längeres Standardsystem und damit größeren Repetierweg. Auch ihr Rückstoß wird etwas stärker empfunden. Die Läufe für die 6,5 CM haben ferner eine lange Lebensdauer.

Für optimalen Drall ausgelegt, aufeinander abgestimmte Hülsendimension und ein langer Übergangskonus sind nur einige Merkmale, welche die 6,5 Creedmoor zum absoluten Präzisionskaliber machen.
Für optimalen Drall ausgelegt, aufeinander abgestimmte Hülsendimension und ein langer Übergangskonus sind nur einige Merkmale, welche die 6,5 Creedmoor zum absoluten Präzisionskaliber machen.

Ein Garant für Präzision

Die 6,5 Creedmoor hat alle Merkmale, die für hohe Präzision und Leistung sprechen. Sie ist keine Gürtelpatrone. Der Verschlussabstand wird über die Schulter und nicht dem Gürtel gebildet. Das ist viel präziser. Ihre 30-Grad-Schulter sorgt für perfekte Anlage im Patronenlager. Aber ebenso für optimale Pulververbrennung und Leistung. Ihr maximaler Gasdruck ist mit 4350 bar hoch, aber zeitgemäß. Ihre fast zylin­drische Hülse mit Rille und 12,09 mm Bodendurchmesser sorgt für großen Pulverraum und idealem Sitz im Patronenlager. Mit ihrer maximalen Länge von 71,12 mm passt sie ideal in Kurz­systeme der .308 Win.-Klasse. Der sich kaum verjüngende Hülsenkörper (Verjüngung von 11,94 auf 11,73 mm Durchmesser) zentriert sich bestens im Patronenlager. Somit wird das Geschoss opti­mal zur Laufseelenachse ausge­richtet. Der schnelle Drall von 1:8” ist prädestiniert für die Stabilisation schwerer Geschosse. Der durchaus lange Übergangskonus wurde so gewählt, dass man lange Geschosse weit aus der Hülse setzen kann. Eben so, dass sie nicht in den Pulverraum reichen. Die Geschosse liegen dann sehr kurz vor dem gezogenen Laufteil. Freiflug gibt es nicht. Ein Garant für Präzision.

Die 6,5 Creedmoor will am besten mit Geschossen von rund 120 bis 140 gr (7,78 bis 9,07 g) Gewicht versorgt werden. 120 gr schwere Geschosse werden an der Mündung auf rund 886 m/s (= 3052 Joule Energie), 130 gr Geschosse auf 868 m/s (= 3173 Joule) und 140 gr Geschosse auf 826 m/s (= 3095 Joule) beschleunigt. Je nach Geschoss und dessen BC-Wert liegen die Entfernungen, bei denen sie noch in Schall­geschwindigkeit fliegen bei 1100, 1350 bzw. 1400 m Entfernung. Ein 147 gr (9,53 g) Match­geschoss kann gar bis zu rund 1475 m in Schallgeschwindigkeit fliegen. Dank ihrer Form und den üb­lichen spitzen Geschoss­spitzen erzielen 6,5 mm (exakter Geschossdurchmesser 0,264 Inch/Zoll = 6,71 mm) ideale Flug­eigenschaften. Sie meistern den Wind gut und verlieren vor allem auf weite Entfernungen weniger Geschwindigkeit als andere Geschosse (auch in anderen Kalibern). Sicherlich liegt in ihnen das Geheimnis der Long Range-Eignung eines Kalibers.

Weiterhin wird die 6,5 CM mit Standardzündern (Large Rifle) wie RWS 5341 sowie moderat abbrennenden Büchsen­pulvern der Standardklasse wie Norma 203-B oder RWS R903 laboriert. Auch leichte Magnum-Pulver wie Hodgon H4350, RWS R904 oder Norma 204 werden verwendet. Gewiss ist in Europa mit der 6,5×55 SE die Konkurrenz groß. Für die moderne 6,5 CM sprechen jedoch viele Eigenschaften:

  • Sie passt in ein Kurzsystem (leichtere Büchsen, kurzer Repetierweg).
  • Moderne Konfiguration der Patronenlager, abgestimmt auf die Geschosse.
  • Lange, schwere Geschosse mit ausgezeichneten Flugeigenschaften und hohem B.C.-Wert.
  • Rückstoßarm und angenehm schießbar.
  • Bestens für rückstoßempfindliche Schützen geeignet.
  • Ideal für weite Entfernungen (Long Range-Eignung).
  • Sehr hohe Präzision, ganz besonders auf weite Entfernungen.
  • Sehr gute Wirkung auf Wild von nah bis fern.

Die Crossover-Patrone

Die 6,5 CM ist ein typischer Hybrid oder, wenn man es so will, eine Crossover-Patrone. Sie ist eine hervorragende Sport- und Long Range-Patrone, genauso aber eine exzellente Jagdpatrone. Also für Schützen und Jäger gleichermaßen interessant. Die 6,5 CM eignet sich gewiss vom Reh bis zum Hirsch. Ideal ist sie für mittelschweres Wild von der Gams über Muffel- und Steinwild bis hin zu Sika- und Damwild. Aber auch Gebirgshirsche legte sie schon auf die Decke. Genauso Wapiti (Elk) oder Elche in Nordamerika. Plains Game wie Impala, Nyala, Buschbock oder Warzenschwein ist ihr Metier. Aber selbst Kudus wurden mit einem Schuss auf über 300 m Distanz gestreckt. In Nordamerika sicherlich Pronghorn, Weißwedel- und Maultierhirsch. Aber auch Dünnhornschafe wie Dall- oder Stonesheep lassen sich mit der 6,5 CM gut bejagen.

Neben guter Tötungswirkung zeichnet sich die 6,5 CM vor allem durch geringe Wildbretzerstörung aus. Häma­tome sind seltener und gering bei schwachem Wild. Sicherlich gibt es in Europa wenige Schießstände, auf denen auf 1000 m und weiter geschossen werden kann. Bis rund 1300 m lässt sich die 6,5 CM vernünftig sportlich einsetzen. Sie lässt sich natürlich auch auf Kurz­entfernungen von 100 und 200 m gut einsetzen. Etwa zum jagdlichen Schießen oder zur Übung. Immer beliebter wird auf dem „alten“ Kontinent jedoch das Schießen auf die 300 m-Distanz. Gerade für den mittleren Entfernungsbereich ist die 6,5 CM bestens einsetzbar.

Kaliber Geschoss Gewicht
in g / gr
Verfügbar ab
6,5 CM RWS Evolution Green 6,0 / 93 November 2019
6,5 CM RWS Speed Tip Professional 9,1 / 140 März 2020

Passende RWS Laborierungen

RWS trug dem Rechnung und ent­wickelte eine Match- und zwei Jagd­patronen 6,5 Creedmoor. RWS TARGET ELITE PLUS steht für Matchpatronen in Handladequalität. Mit ihrem 130 gr schweren HPBT-Geschoss ist sie sehr rückstoßarm und hoch präzise. Das Geschoss mit dem hohen B.C. von 0,548 wird auf rund 869 m/s an der Mündung beschleunigt. Auf 300 m fliegt es noch 708 m/s schnell. Das Matchgeschoss meistert Seitenwind sehr gut.

Als weitere Laborierung bietet RWS ab Herbst 2019 eine Patrone mit 93 gr schweren EVO Green Geschoss für die jagdliche Anwendung an. Der Tombakmantel wurde vernickelt, was Geschoss­abschmierung an der Laufwand vermindert. Der lebensmittelechte Zinnkern ist zweigeteilt. Der hintere feste Kern bleibt dank Einschnürung im Mantel erhalten. Der Restgeschosskörper sorgt für Tiefenwirkung, Ausschuss und Schusszeichen. Der vordere Zinnkern wurde vorfragmentiert. Er zerlegt sich im Wildkörper. Dank Sollbruchstellen und Speed-Tip Geschossspitze deformiert das Geschoss auch bei geringem Widerstand und geringer Geschossgeschwindigkeit sehr schnell. Somit wird eine hohe Augenblickswirkung erzielt.

Das EVO Green ist ein extrem präzises Geschoss, das auch noch auf weite Schussdistanzen eine ausgezeichnete Wirkung entfaltet. Wild wird in der Regel an den Platz gebannt oder liegt nach kurzer Flucht­strecke. Die Wildbretentwertung ist etwas höher als bei formstabilen Geschossen. Das EVO Green ist ein Allrounder für alle Wild­arten, für die die 6,5 CM prädestiniert ist.

„Eine absolut uni­verselle Patrone,
ideal für Kurz­systeme –
auch für weite Distanzen.“

Ebenfalls ein Universalgeschoss bis hin zu mitteleuropäischem Rotwild wird das im Frühjahr 2020 erscheinende RWS Speed Tip Pro mit 140 gr Gewicht. Es besitzt die Kunststoff-Speed-Tip-Geschossspitze mit einer hinteren und vorderen Kammer. Der vernickelte Fluss­­­stahlmantel sorgt für geringe Reibung und wenig Geschossablagerungen. Das bleihaltige Geschoss mit V-Tail-Heck hat einen hinteren harten Bleikern, der von einer H-förmigen Einschnürung gehalten wird. Der weiche Vorderkern aus Blei deformiert und splittert zuverlässig im Wildkörper. Ein Geschoss für hohe ­Präzision und Flugstabilität. Auf weite Distanzen bei geringer Geschossgeschwindigkeit wirkt es genauso zuverlässig. Das formstabile Hinterteil erzielt ausreichende Tiefenwirkung und in der Regel Ausschuss. In der 6,5 Creedmoor ist es „das  Geschoss“ für schweres Wild.

Fazit: Die 6,5 CM ist keine Superpatrone. Sie ist keine Supermagnum oder ein Overbore-Kaliber mit unglaublicher Geschossgeschwindigkeit. Vielmehr ist es eine Standardpatrone für Kurzsysteme. Ihre geringe Schützenbelastung ist mit­entscheidend, ob man am Ende eines Matches ganz oben auf dem Treppchen steht. Mit modernen VLD-Geschossen (very low drag) kann sie im Long Range Schießen gut bis 1300 m eingesetzt werden. Auf 1000 m ist sie sehr gut geeignet. Mit etwas leichteren Geschossen ist sie immerhin bis ca. 700 m ideal verwendbar, ganz ausgezeichnet auf die 300 m-Distanz.

Erste Feldtests mit dem im Frühjahr 2020 erscheinenden 6,5 Creedmoor Speed Tip Pro mit 140gr untermauern die weitreichende Meinung aus dem USA. Die 6,5 Creedmoor eignet sich hervorragend auf alles europäisches Wild und liefert selbst bei Rotwild überzeugende Ergebnisse.
Erste Feldtests mit dem im Frühjahr 2020 erscheinenden 6,5 Creedmoor Speed Tip Pro mit 140gr untermauern die weitreichende Meinung aus dem USA. Die 6,5 Creedmoor eignet sich hervorragend auf alles europäisches Wild und liefert selbst bei Rotwild überzeugende Ergebnisse.

Ihre „dual use“ Verwendbarkeit macht sie auch zu einer ausgezeichneten Jagdpatrone. Schüsse auf 400 Meter meistert sie problemlos. Bis hin zum mitteleuropäischen Rothirsch ist sie wirkungsvoll, ideal ist sie für mittel­schweres Wild. Gerade ihre vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, gepaart mit hoher Präzision und angenehmem Schuss­­verhalten macht die 6,5 CM so beliebt. Sie ist eine moderne 6,5×55 SE, die jedoch klar die Nase vorn hat vor der über einhundert­jährigen Patrone. Eine Patrone mit langer Zukunft, von der man oft am Lagerfeuer oder in den Jagd­hütten hören wird. Das Kaliber „six-point-five“ ist noch lange nicht „out“. Gerade jetzt ist es mit der 6,5 Creedmoor „in“!